RAMPAGE REWRITTEN
Changing the Narrative at Red Bull Rampage
Mache Dinge lassen sich nur fühlen und erleben, um sie richtig zu erfassen.
Nur wenn man unten am Fuß der Red Bull Rampage steht, bekommt man ein Gefühl für dessen beeindruckende Ausmaße, die sich mit der Kamera nicht einfangen lassen. Die schiere Größe der Klippen, die Steilheit der Lines und die Intensität der Landschaft schlagen dir förmlich auf einmal entgegen und erlauben dir erst, zu verstehen, welcher Herausforderung die Rampage-Rider sich hier wirklich stellen.
Nur noch einen Tag bis zum Finale der Frauen und die Energie ist greifbar - teils als Vorfreude und Aufregung und teils als Nervosität. Wenn der Wind über die Wüste fegt, ruft er jedem in Erinnerung, dass wir alle gegenüber Mutter Natur Rede und Antwort stehen müssen. Die Dig-Crews arbeiten unermüdlich, graben und schlagen ihre Lines in die wilden Klippen, die das ikonische Terrain von Virgin, Utah, ausmachen. Das Klirren und Schlagen der Pickel hallt durch die Luft - in perfektem Einklang mit dem schwindenden Licht. Während die Sonne langsam hinter dem Gooseberry Mesa verschwindet und die Wüste in ein feuriges Glühen taucht, brechen immer wieder Jubelrufe aus, wenn die Fahrer im Training ihre Lines Stück für Stück zusammenfügen. Es herrscht eine fast schon elektrisierendes Atmosphäre und ein Bewusstsein dafür, dass man hier gerade dabei ist Geschichte zu schreiben.
DIRT ALCHEMISTS
Behind every line at Rampage is a crew of dedicated diggers who transform the rugged desert into playgrounds of possibility. Armed with shovels, picks, and a vision, each team of diggers works long days under the sun, sculpting dirt and rock into rideable masterpieces. Their work is part science and part art. They study every slope, angle, and ridge, but a keen understanding of flow and rider dynamics ultimately shapes their designs.
Bevor der Rest der Welt das Resultat ihrer Arbeit in Aktion erleben kann, haben die Digger bereits mehr als eine Woche lang 12-Stunden-Schichten harter Arbeit hinter sich. Immer dabei sind auch die Fahrer selbst - selber am Graben, überlegen und visualisieren - mitten drin im Prozess ihre Lines zu shapen. Man muss es nicht eigens erwähnen: Die Digger sind bei der Rampage die unbekannten Helden im Hintergrund. Andererseits, ohne die Fahrer und Fahrerinnen die sie hierher gebracht haben, wären auch sie nicht hier.
IT'S TIME TO DANCE
After years in the making, women competing at Red Bull Rampage feels as natural as the joy they share with their dig teams, fellow riders, and everyone who has been part of their journey. Casey Brown first set foot at Rampage in 2008 and has been determined to compete ever since. In the years that followed, she laid the groundwork by progressing her own riding, building connections, and creating opportunities for women to push the boundaries of freeride together.
Unlike the men’s venue, packed with features from past events, the women’s course began as a blank canvas—a raw landscape offering the freedom to sketch new lines but requiring immense foresight, planning, and time management to carve a top-to-bottom run. Collaboration has been key, and it's evident that all eight women building lines on the mountain know how to work together to get it done. With Finals on Thursday, the anticipation is high, and everyone is antsy to start testing their lines on this untouched terrain.
Die Welt verändert sich ständig und das Timing ist halt einfach wie es ist. Ich bin einfach so dankbar, es in meiner Karriere bis hierher geschafft zu haben.
–Casey Brown
WOMEN MAKING HISTORY
When the sun rose on Thursday morning, the women of Rampage knew the day marked perhaps the biggest moment of their careers... and also a seismic shift in mountain biking. Every rider on the start ramp felt the weight of the moment, yet there was an undeniable calm—a quiet confidence from years of pushing boundaries in a sport that was finally offering space for them. They looked down their lines, knowing they’d soon showcase what they’d been building for years. This was more than a competition; it was a redefining of what’s possible, a moment the world would remember as the point freeride expanded into something bigger, bolder, and more inclusive.
Casey Brown, die liebevoll auch den Spitznamen „Godmother of Women’s Freeride“ trägt, war als Zweite mit ihrem Lauf dran. Sie ist ihre Line mit einem Flow und einer mühelosen Präzision heruntergefahren und hat dabei auch den ultrasteilen „Laundry Chute“ gefahren, den sie im Training geübt hatte. Jede Bewegung schien als ob sie von purem Instinkt gesteuert würde. Mit ihrem Zieleinlauf sicherte sie sich eine Wertung von 77,33 Punkten und damit den 3.Platz auf dem Podium. Aber die vielleicht größte Ehrung dieses Tages war, dass sie den McGazza Spirit Award in Empfang nehmen durfte. Mit dieser Auszeichnung wird nicht nur die Leistung einer Fahrerin oder eines Fahrers am Berg gewürdigt, sondern auch ihr bzw. sein Engagement, andere zu motivieren, die Gemeinschaft zu unterstützen und den Sport auf eine Weise voranzutreiben, die dem Vermächtnis von Kelly McGarry gerecht wird. Und mit Casey hat man damit genau die Richtige geehrt.
Vero Sandler ist einige Fahrerinnen später gestartet. Sie wollte zeigen, wie zielstrebig und hart sie und ihre Crew in der letzten Woche gearbeitet haben. Wie viele andere Teams auch, waren sie um die halbe Welt gereist, um ihre Fahrerin zu unterstützen und ihre Line zu graben. Mit der Unterstützung ihrer Crew im Rücken hat Vero in ihrem Lauf die selbe Kraft und Energie ausgestrahlt, und ließ sich von den ermutigenden Botschaften inspirieren, die sie – im wahrsten Sinne des Wortes – mit Farbstiften auf ihr Santa Cruz V10 geschrieben hatten. Ihre beeindruckende Performance hat ihr eine Wertung von 71,0 Punkten und damit den wohlverdienten 5. Platz eingebracht.
Mit seinen Texten war dies definitiv das emotionalste Bike, das ich je hatte. Sie haben einfach soo viel Liebe da reingesteckt.
–Vero Sandler
REDEFINING THE GAME
As the Women’s Finals celebrations ensued, it was apparent that the bar had been raised for everyone in the competition. Whether a rider was making their debut or returning for their 18th time, like Kyle Strait, each edition has consistently shattered expectations year after year.
Szymon Godziek is no stranger to Red Bull Rampage, competing for the sixth consecutive year since 2018. After securing second place in 2022, he was on a heater during his Finals run in 2023 before a dramatic crash ended in a DNF. With unfinished business, the Polish freerider is the first to push the limits at the venue, having already sent a stunning 95-foot drop on the first day of practice. It was hard to imagine how much bigger riders would be able to go in Finals on Saturday.
Perfektion weiterentwickeln
Für die Rampage Ausgabe 2024 ist Brandon Semenuk der einzige Fahrer, der vier Siege bei der Red Bull Rampage für sich verbuchen kann. Er festigt damit seinen Ruf als einer der absolut Besten in diesem Sport. Seine einzigartige Fähigkeit, fahrtechnisches Können mit einer kreativen Streckenwahl zu kombinieren und dies dann auch präzise umzusetzen ist sicherlich die Messlatte, nach der zukünftige Fahrer sich ausrichten müssen.
Dabei haben seine Fähigkeiten im Streckenbau sich genauso weiterentwickelt, wie sein Fahrstil. Dadurch, dass er seit vier Jahren mit der gleichen Crew arbeitet, konnte er die Kreativität in seinen Lines immer weiter ausbauen und auf ungeahnte Höhen hochschrauben. Erfolg verlangt nach Hingabe und einer Einheit im Team, die nur über Jahre hinweg und durch immer neue Herausforderungen wachsen und herausgearbeitet werden kann. Für Rampage gibt es schlichtweg keine bessere Crew.
Die Entstehung einer Saga
Was wäre das Finale ohne den böigen Wind, der genau dann einsetzt, wenn der Wettbewerb losgeht? Obgleich er sich durch die Temperaturunterschiede bei Sonnenaufgang größtenteils plausibel erklären lässt, kommt er einem doch vor wie ein unerwünschter Gast, der einem die Party-crashen will. Genau dieser Mix aus Geduld und Instinkt von Seiten der Fahrer und dem kollektiven Atemanhalten der Zuschauer - mit fast 250 Metern Höhenunterschied zwischen beiden - macht diese Spannung und die Aufregung dieses Tages so intensiv.
Als erster Fahrer des Tages, legte Brandon gleich zu Beginn einen Podium-würdigen Run hin. Alle schauen gespannt wie er seine Line fährt, verfolgen wie jedes Feature, jeder Sprung und jeder Trick sich nahtlos und in perfekter Abfolge aneinander reihen. Dann, schon fast am Ende des Laufs, geht ein Backflip doch nicht ganz nach Plan und sorgt nach einem Crash für eine Wertung von gerade mal 61,33 Punkten. Und damit liegen alle Hoffnungen auf dem zweiten Lauf.
Neun Fahrer später startet Szymon Godziek seinen Lauf mit einer Streckenwahl, über die man an diesem Tag noch viel spricht. Im Laufe der Woche, hat er alles gegeben, sich selbst mit gigantischen Flips bis ans Limit gepusht und damit die psychische Stärke gezeigt, dort weiterzumachen, wo er letztes Jahr aufgehört hat. Mit einer Wertung von 91,66 Punkten übernimmt er klar die Führung und gibt einen Vorgeschmack darauf, was es heißt, seine Träume wahr werden zu lassen.
Das war ein echter Dream-Run. Ich kann noch gar nicht glauben, dass alles geklappt hat. Das war mein allererster Backflip an dem „Price is right“-Drop. Es hat sich unglaublich angefühlt. Ich konnte den Flug einfach nur genießen.
–Szymon Godziek
Die Besten-Liste neu schreiben
Zu diesem Zeitpunkt sprach alles klar für einen Sieg von Szymon. Der einzige, der dies noch ändern könnte, war Brandon. Und zwar nicht, weil Brandon um jeden Preis gewinnen wollte, sondern weil er seine Line nur einmal genau so fahren wollte, wie er es sich vorgestellt hatte.
Nach Stunden der Verzögerung durch Wind machen sich sechs Fahrer auf den Weg hinauf zur Start-Plattform für ihren zweiten Lauf … aber nur zwei davon entscheiden sich dafür, diesen auch wirklich zu fahren. Die Dig Crew von Brandon stand mit verschränkten Armen unterhalb des Starts und signalisieren ihm: „Nicht fahren, es ist zu windig.“ Und während der Countdown für den Start herunterzählt, gibt Brandon ein kurzes Daumen-Hoch-Signal und fährt durchs Starttor. In diesem Moment, in dem jeder einzelne Zuschauer den Atem anhält, fühlt es sich an, als hätte sogar der Wind kurz aufgehört. Und wie von vielen erwartet, spult Brandon jeden Trick seines Laufs souverän ab … doch anstatt nach seinem Lauf loszulassen und sich zu entspannen, wie es die meisten tun würden, sinniert Brandon als selbstkritischer Perfektionist sogar noch über jene minimalen Schwächen, die man in seinem Lauf hätte ausmachen können.
Nachdem sich die Schiedsrichter eine gefühlte Ewigkeit beraten haben, würdigt man den Lauf mit 92,73 Punkten. Und damit wird er der einzige 5-malige Red Bull Rampage Gewinner. Wenn auch mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen, wissen Brandon und Szymon genau, dass sie wieder einmal den schmalen Grat zwischen Ruhm und Risiko erfolgreich beschritten haben. Am Ende des Tages kann es zwar nur einen Gewinner geben, aber es ist jedem klar, dass diese beiden Fahrer ihre Namen für immer in die Geschichtsbücher der Rampage eingeschrieben haben.
Das ist eine wirklich ganz besonderer Moment. Ich bin super glücklich, dass ich noch die Gelegenheit hatte, einen zweiten Lauf hinzulegen. Es ist so wichtig für mich, den Lauf bis runter geschafft zu haben. Ich möchte mich noch ganz besonders bei Evan und Justin für ihre harte Arbeit in dieser Woche bedanken. Wir haben eine gute Show abgeliefert und jeder hier hat diese Woche sein äußerstes gegeben.
–Brandon Semenuk
Ein neues Kapitel liegt vor uns
Auf den ersten Blick prägt die Red Bull Rampage die Wüste. Seit 2001 hat man Lines in die Sandsteinhänge von Virgin gebaut. Aus 18 Veranstaltungen sind zehn einzigartige Gewinner hervorgegangen, von denen jeder seinen Betrag zu der fesselnden Geschichte der Rampage beigetragen und ihn wortwörtlich in den Hänge verewigt hat. Hier kam es zu historischen Momenten, wie dem ersten Backflip, der in 2003 zum Sieg geführt hat, oder der Aufstieg der vielen jungen Fahrer, die hier ihre Rampage-Reise mit gerade mal 14 und 17 Jahren begonnen haben. Diese „Kids“ haben sich mittlerweile zu 2-, 3- und jetzt sogar 5-fachen Champions weiterentwickelt.
Jetzt, nach einer weiteren Woche, in der jeder einzelne sich durch die Herausforderungen der Rampage navigiert hat, wird umso klarer, dass nicht wir es sind, die die Wüste formen, sondern sie viel mehr uns formt, indem sie uns mit unseren Ängsten konfrontiert und unseren Ehrgeiz anstachelt. Die Frauen die hier und heute Rampage-Geschichte geschrieben haben, ebnen den Weg für jüngere Fahrerinnen, die heute nur zugeschaut haben und schaffen so eine kraftvolle Inspiration dafür, was alles möglich ist. Es ist eine Erfahrung, die sich nicht in Worte fassen lässt und tief in uns nachhallt, wenn wir weiter in die Zukunft gehen, in der sich die Geschichte selbst immer wieder neu schreiben wird.
Text von Sarah Rawley Video von Kuba Gzela.